Gebäude spielen für die Klimaneutralität eine Schlüsselrolle, da allein ihr Betrieb gut ein Drittel des Energieaufwands und der dazugehörigen Treibhausgasemissionen in der Bundesrepublik Deutschland verursacht. Bei der Planung von Modernisierungen oder von neuen Gebäuden werden in den frühen Planungsphasen viele richtungweisende Entscheidungen getroffen. Aktuell steht jedoch zur Abschätzung der Lebenszyklusenergie und -emissionen in diesem Planungsstadium kein adäquates Werkzeug zur Verfügung, welches mit einem Minimum an Angaben solide Lebenszyklusabschätzungen bietet und auch von interessierten Laien bedienbar ist. Ziel des aktuellen und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekts LezBAU ist es, ein Werkzeug zu entwickeln, das sich mit relativ wenigen Eingaben und niedrigen Einstiegshürden kostenlos nutzen lässt. Zu diesem Zweck arbeiten Wissenschaftler:innen und Architekt:innen eng in der Tool-Entwicklung zusammen. Darüber hinaus trägt ein früher, durchgehender Austausch mit einem Projektbeirat, Stakeholdern und den Beteiligten dazu bei, das zukünftige Tool praxistauglich und bekannt zu machen.
Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland haben Klimaneutralität zum rechtlich bindenden Ziel bestimmt. Dafür ist die Dekarbonisierung des Gebäudesektors unerlässlich, da allein der Gebäudebetrieb für rund 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist (BMWK, 2023). Neben diesen auch bisher im Fokus stehenden Betriebsenergieverbräuchen müssen auch weitere Verbräuche und Emissionen berücksichtigt werden, um Klimaneutralität im Gebäudesektor zu erreichen: die Emissionen der eingesetzten Materialien zur Herstellung, zum Transport, zur Errichtung, zur Instandhaltung und zum Rückbau der Gebäude. Für die Entscheidungsfindung hin zu klimaverträglichen Baumaterialien stehen Planer:innen und insbesondere der Bauherrschaft in den frühen Phasen der Gebäudeplanung bisher jedoch keine angepassten Werkzeuge (Tools) zur Verfügung.
Die Umweltauswirkungen von Gebäuden über deren gesamten Lebenszyklus lassen sich im Rahmen von Ökobilanzen (Life Cycle Assessments, LCA) anhand einer in bestehenden Normen festgelegten Methodik quantifizieren. Wenn solche Ökobilanzdaten schon in den frühen Phasen des Planungsprozesses von Gebäudemodernisierungen oder von neuen Gebäuden vorliegen, können sie Entscheidungen ermöglichen, die die Umweltauswirkungen von Gebäuden reduzieren (Bogenstätter, 2000; Braganca et al., 2014). Lützkendorf et al. (2020) zeigen jedoch, dass nur etwa 16% der Architekt:innen in Deutschland aktuell den LCA-Ansatz in ihren Projekten verwenden, obwohl eine klare Mehrheit mit dem Konzept vertraut ist. Als Hindernisse für die Nutzung von LCA werden unter anderem der Mangel an hauseigener Expertise (für 56% der Befragten), Zeitaufwand (für 42%), Datenmangel (für 34%) und Kostenaufwand (für 22%) als Hauptgründe genannt. Vor diesem Hintergrund entstand unter Leitung des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt mit Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) das Projekt LezBAU. Forschungsverbundpartnerinnen sind die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Frankfurt University of Applied Sciences (FRAUAS). Forschungsbeteiligte ist die Arge B.A.U.-LezBAU GbR, die aus Mitgliedern des Bundes Architektur & Umwelt e.V. besteht. Ziel ist es, ein einfach handhabbares und vor allem frei verfügbares Online-Tool zu entwickeln, mit dem sich die Lebenszyklus-Auswirkungen in den frühen Planungsphasen abschätzen lassen. Das Tool richtet sich vor allem an die kleineren Projekte in der Modernisierung und im Neubau, die einen signifikanten Anteil des Bauvolumens in Deutschland ausmachen und für die die Anwendung eines kommerziellen LCA-Programms zu unverhältnismäßigen Kostensteigerungen führen würde.
Das LezBAU-Tool soll somit das bereits bestehende Instrumentarium der Lebenszyklusberechnungen im Gebäudebereich um einen kritischen Baustein ergänzen. Detaillierte Berechnungen können mit kommerzieller Software wie LEGEP oder Generis bereits heute durchgeführt werden, die zu exakten Ergebnissen führen und ggf. für Zertifizierungen zugelassen sind. Ein Nachteil ist allerdings, dass in den frühen Planungsphasen nur begrenzte Informationen verfügbar sind, was eine detaillierte Ökobilanz erschwert. Daher müssen Annahmen getroffen werden, um die fehlenden Daten mit plausiblen Werten zu ergänzen (Hollberg. 2016; Röck, 2018). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, LCA mit Building Information Modelling (BIM) anhand von Skripten oder kommerziellen Schnittstellen (Tally, One Click LCA, CAALA) zu kombinieren (Röck, 2018; Hollberg, 2018). In diesem Fall werden Daten über die Gebäudegeometrie (und evtl. Baumaterialien) aus dem BIM-Modell übernommen. Dieser Ansatz kann für frühe Planungsphasen geeigneter sein, wenn BIM-Modelle schon vorliegen, was aber selten der Fall ist (BIM ist nur bei 18% der befragten Architekt:innen Standard, siehe Lützkendorf & Balouktsi, 2020). Darüber hinaus können einfache Checklisten, beispielsweise das SNAP-Verfahren, grobe Abschätzungen zur Lebenszyklusanalyse von Gebäuden liefern, welche allerdings nur allgemeinere Hinweise geben können. Verfügbare Software für die Nutzungsphase der Gebäude greift in der Regel auf Zweitsoftware zurück, sodass ggf. doppelter Eingabeaufwand entsteht. Die Erfassung von sogenannter grauer Energie bzw. grauen Emissionen ist meist nicht mit der Energienutzung und den entsprechenden Treibhausgasen in der Nutzungsphase kombiniert.
Es fehlt also ein Tool, das eine praxisnahe und integrierte Lebenszyklusbilanzierung ermöglicht: das LezBAU-Tool. Neben dem Tool selbst sollen umfangreiche, bisher nicht verfügbare Kataloge mit Beispielgebäuden (Bestand, Neubauten sowie Wohn und Nichtwohngebäude), Bauteilen und Anlagentechniken erarbeitet werden. Außerdem wird ein Schätzverfahren entwickelt, das eine Skalierung der im Tool hinterlegten Beispielgebäude auf den konkreten Anwendungsfall erlaubt. Mit der Entwicklung von vereinfachten Bauteil- und Anlagentechnikkatalogen und der Integration in ein weiteres, vereinfachtes LezBAU-Tool entstehen wichtige Grundlagen für das Erstellen von Szenarien für Gebäudebestände. Bestehende Klassifizierungen für Gebäude im Lebenszyklus werden vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele mit dem LezBAU-Tool getestet. Um die Bilanzierung bei der energetischen Modernisierung anwenden zu können, werden bereits existierende Berechnungsverfahren für die Bilanzierung von Gebäudeneubauten weiterentwickelt. Dazu zählt auch, vorhandene LCA-Benchmarks zu recherchieren und auf deren Basis allgemeine Benchmarks für Gebäude in der Bundesrepublik Deutschland (Wohngebäude und Nichtwohngebäude, Neu- und Sanierung) zu entwickeln. Für die LezBAU-Bewertung ist darüber hinaus die Entwicklung von Tool-spezifischen Benchmarks (LezBAU) durch die Definition und Berechnung von BestPractice und Business-as-usual Varianten geplant.
Wie in Abbildung 1 dargestellt, beginnt die Nutzerin oder der Nutzer mit der Auswahl eines Gebäudes, das dem eigenen Vorhaben am nächsten kommt, aus einem Katalog. Bei den hinterlegten Beispielgebäuden handelt es sich in der Regel um durchgeführte Objekte, bei denen die Machbarkeit unter Gesichtspunkten wie Brandschutz, Schallschutz, Statik, Finanzierung etc. bereits in der Praxis nachgewiesen ist. Ergänzend zum ausgewählten Typ können Grobmaße des eigenen Bauvorhabens zur Skalierung angegeben werden. Eine weitere Auswahl an Materialien und Gebäudetechnik ist möglich, allerdings für die weiteren Berechnungsschritte nicht zwingend notwendig, da bereits mit der Auswahl des Typs im Tool vorgefertigte Berechnungswerte hinterlegt werden. Durch Angabe der Daten berechnet das Tool dann eine Ökobilanz des geplanten Gebäudes, die in einem PDF-Dokument dargestellt werden kann. Dabei ist auch geplant, Zwischenergebnisse zu generieren, um Optimierungsmöglichkeiten durch die Nutzung anderer Materialien oder Konstruktionen aufzuzeigen. Die Nutzer:innen können Zwischenstände abspeichern und zum weiteren Bearbeiten zu einem späteren Zeitpunkt erneut im LezBAU-Tool nutzen. Somit verbleiben nach der Verarbeitung keine (Projekt-)Daten auf den Servern des LezBAU-Projekts. Ziel des Tools ist es, bei geringem Eingabeaufwand Informationen bereitzustellen, welche die CO2-Emissionen des Objekts – sei es eine Modernisierung oder ein Neubau von einem Wohn- oder Nichtwohngebäude – spürbar senken können. Darüber hinaus kann das Tool möglicherweise nach seiner Fertigstellung ebenfalls eine Grundlage für eine spätere Zertifizierung bilden.
Die ursprüngliche Idee für die Erstellung des LezBAU-Tools entsprang aus der Praxis (im Konsortium repräsentiert durch die Arbeitsgemeinschaft B. A. U. GbR), da bisher Lebenszyklusaspekte in den frühen Planungsphasen aus der Sicht von Architekt:innen nur unzureichend bis gar nicht berücksichtigt werden konnten. Dies führte zu einem Projekt- und Entwicklungsdesign, in dem die Praxis nicht nur berücksichtigt wird, sondern im Sinne der Ko-Produktion direkt in die Arbeiten an der Tool-Erstellung eingebunden ist und zu ihnen beiträgt. Darüber hinaus ist über den Projektpartner DUH und dessen breites Netzwerk eine enge Anbindung an relevante Policy-Prozesse im Gebäudebereich gegeben, welche dazu beitragen soll, dass das LezBAU-Tool auch im breiten Governance-Kontext eine Wirkung entfalten kann bzw. sich in diesen einfügt. Durch die Beiträge der FRA-UAS wird nicht nur unabdingbare inhaltliche Expertise in der Gebäudetechnik eingebracht, sondern es besteht über die Lehre eine Möglichkeit, das LezBAU-Tool in der Aus- und Weiterbildung der nächsten Generation von Spezialist:innen im Gebäudebereich zu nutzen. Das IWU bringt seine wissenschaftliche Expertise im Gebäudebereich, in der Gebäudemodellierung, in der Ökobilanzierung, in der Projektsteuerung und in der Tool-Entwicklung ein und koordiniert die Arbeitsprozesse maßgeblich.
Nach dem anfänglichen Erarbeiten der konzeptionellen Grundlagen im Konsortium fand im September 2023 das erste ProjektBeiratstreffen in Berlin statt. Das erste Projektkonzept wurde den Expert:innen aus verschiedenen Bereichen des Gebäudesektors vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Dieser Austausch zeigte, dass insbesondere Optimierungsmöglichkeiten stärker Eingang in das Tool erhalten sollten. Darüber hinaus wurde besprochen, inwiefern auch die Datenbanken zu Gebäudeteilen und -technik im Rahmen von Open Data zur Verfügung gestellt werden können und sollen. Dies ist notwendig, um niederschwellig die Mehrheit der Kleinprojekte zu erreichen, die in der Summe zum Erreichen der Klimaziele relevant sind. Aufbauend auf diesen Gesprächen fand im Oktober 2023 planmäßig der erste Stakeholder-Workshop in einem Onlineformat statt, an dem 59 Teilnehmer:innen aus Politik, Forschung, Wirtschaft, den Verbänden und der Praxis teilnahmen. Auch hier wurde der große potenzielle Nutzen des LezBAU-Tools deutlich. Erneut wurde auf die Wichtigkeit von Optimierungsmöglichkeiten von Entwürfen innerhalb des Tools hingewiesen.
Im Gebäudesektor wurden (wie im Transportsektor) die verbrieften Ziele des Klimaschutzgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht erreicht. Allerdings beziehen sich diese Ziele nur auf die Verbrennung von Brennstoffen in Gebäuden (so wird im Gebäude verbrauchter Strom dem Energiesektor und nicht dem Gebäudesektor zugerechnet), während die graue Energie und dazugehörige Emissionen aus der Herstellung der Gebäudematerialien, sowie aus der Errichtung, der Instandhaltung und dem Rückbau am Lebensende von Gebäuden bisher noch wenig Eingang in gesellschaftspolitische Bewusstseins- und Steuerungsprozesse gefunden haben. Gleichzeitig zeichnet sich auf europäischer und internationaler Ebene ab, dass das Thema Lebenszyklus-Analysen (LCA) auch im Gebäudebereich immer stärker in den Fokus rückt (siehe beispielsweise die Beiträge in Azari & Moncaster, 2023). Bei sinkender Nutzenergie wird der prozentuale Anteil der grauen Energie bzw. der grauen Emissionen eines Gebäudes über seine Lebenszeit entsprechend größer (Bischof and Duffy, 2022). Vor diesem Hintergrund sind Lösungen gefragt, die es Planer:innen und Architekt:innen erlauben schon früh im Planungsprozess – nämlich wenn wesentliche und oft im weiteren Prozess unumkehrbare Entscheidungen zu einer Modernisierung oder einem Neubau getroffen werden – Abschätzungen zu den Lebenszyklusemissionen vorzunehmen. Darüber hinaus sollte auch die Bauherrschaft in die Lage versetzt werden, eigene Abschätzungen vorzunehmen und diese als Gesprächsgrundlage für einen Austausch mit den Planer:innen zu nutzen.
Das LezBAU-Tool ist darauf ausgelegt, eine solche Möglichkeit zu bieten. Es trägt zum Klimaschutz im Gebäudebereich und damit zum Gemeinwohl bei, indem das Tool kostenlos und internetbasiert angeboten wird. So soll insbesondere die Vielzahl an kleineren Architektur- und Planungsbüros erreicht und für die Herangehensweise begeistert werden, welche andernfalls nicht in der Lage wären, entsprechende Software anzuschaffen und/oder zu nutzen. Auch mit Blick auf die breitere Governance-Landschaft kann das LezBAU-Tool eine Wirkung entfalten – sei es durch eine Erhöhung der Nachfrage nach ökologisch sinnvollen Baumaterialien oder mit Blick auf eine Weiterentwicklung der GovernanceAnsätze zur Reduzierung der Lebenszyklusenergie und -emissionen im Gebäudebereich. Nach aktuellem Arbeitsstand können wir davon ausgehen, dass das neue Tool im Laufe des Jahres 2026 der interessierten Öffentlichkeit zugänglich sein wird.
Die obige Projektbeschreibung erschien als Open Access Artikel im vierteljährlich erscheinende Magazin FIfF-Kommunikation des "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" FlfF.